Der Landtag im Mehrebenen-Regierungssystem

Baden-Württemberg hat ein eigenes Parlament, eigene Gerichte und eine eigene Regierung mit einem Regierungschef, dem Ministerpräsidenten. Gleichzeitig aber ist das Land eingebettet in ein Regierungssystem, das auf mehrere Ebenen verteilt ist. Baden-Württemberg ist Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland und es ist in den politischen Prozess der Europäischen Union (EU) eingebunden, nämlich zum einen indirekt über die Bundesrepublik als Mitgliedstaat der EU und zum anderen direkt als eigener europapolitischer Akteur. Das macht das Regieren im Land komplexer.

Inwiefern sind die verschiedenen Ebenen also voneinander abhängig? Was bedeutet das für das Land und den Landtag? 

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Land, Bund, Europa

In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt der größte Teil der Gesetzgebung durch den Bund, während die Länder (Art. 83 GG) mit der Ausführung der Gesetze betraut sind. Aus dieser Kompetenzverteilung ergibt sich die Notwendigkeit einer engen Kooperation zwischen Bund und Ländern.

Doch das Land verfügt auch über Möglichkeiten, auf die Bundespolitik Einfluss zu nehmen, wenn Landesinteressen berührt sind. Die bekannteste dieser Möglichkeiten stellt der Bundesrat dar. Wie die Stimmen des Bundeslandes im Bundesrat abgegeben werden, bestimmt die jeweilige Landesregierung meist schon in ihrem Koalitionsvertrag – und nicht direkt der Landtag. Immerhin wird entgegen häufig vorgebrachter Skepsis die Institution Bundesrat nicht nur parteipolitisch instrumentalisiert; denn obwohl die parteipolitischen Zusammensetzungen der Landesregierungen für deren Abstimmungsverhalten im Bundesrat natürlich eine Rolle spielen, nehmen die Länder im Bundesrat nachweislich auch ihre spezifischen Landesinteressen wahr, wie es das Grundgesetz vorsieht.

Doch auch andere Einflussmöglichkeiten eröffnen sich, etwa durch die Entsendung von Wahlmännern und –frauen in die Bundesversammlung entsprechend der Mehrheitsverhältnisse im Landtag oder die Wahl der Bundesrichterinnen und -richter. Dass Landesinteressen auch im Parlament des Bundes, dem Bundestag, eine Rolle spielen, lässt sich daran ablesen, dass sich die Abgeordneten der großen Bundestagsfraktionen in Landesgruppen organisiert haben. Nicht zuletzt verfügt Baden-Württemberg auch über eine eigene Landesvertretung im Herzen des politischen Berlin.

Baden-Württemberg liegt im Herzen Europas. Als Region mit mehr als elf Millionen Einwohnern es größer und wirtschaftlich stärker als manche Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das verleiht Baden-Württemberg auch bei europapolitischen Fragen eine starke Stimme. Dass die Bedeutung der EU für das Land zugenommen hat, lässt sich schon daran ablesen, dass der Landtag von Baden-Württemberg im Jahr 2006 eigens einen Europaausschuss eingerichtet hat. Mit dem Voranschreiten der europäischen Integration hat die EU Kompetenzen hinzugewonnen, auch in Politikfeldern, die in Deutschland eigentlich Ländersache sind.

Hinzu kommt, dass die EU in einigen Bereichen selbstständig Recht schaffen kann („sekundäres Gemeinschaftsrecht“). Für eine sinnvolle Kompetenzverteilung soll das Subsidiaritätsprinzip sorgen (lat. „subsidium“: Hilfe, Beistand). Dieser Grundsatz verlangt, dass Kompetenzen für ein Politikfeld nur dann auf eine höhere Regierungsebene verlagert werden sollten, wenn die niedrigere Ebene mit den Problemen auf diesem Politikfeld nicht mehr zurechtkommt. Auf diese Weise sollen Entscheidungskompetenzen möglichst nah bei den betroffenen Menschen und ihren Problemen angesiedelt sein. Doch nicht immer wird das Subsidiaritätsprinzip auch tatsächlich eingehalten.

Nicht nur deshalb bemüht sich das Land, den Kontakt nach Brüssel und Straßburg zu intensivieren und seine Stimme dort zu Gehör zu bringen. So gibt es nicht nur bereits seit 1987 eine eigene Landesvertretung in Brüssel. Baden-Württemberg ist auch im seit 1994 existierenden Ausschuss der Regionen (AdR) vertreten. Ziel dieses Gremiums ist es, zu gewährleisten, dass die Regionen in der EU ihre Standpunkte zur EU-Politik einbringen können und dass lokale sowie regionale Identitäten und Vorrechte bei der Entscheidungsfindung auf EU-Ebene geachtet werden. Der AdR besitzt jedoch keine eigene Entscheidungskompetenz.

Die Landesregierung will die Europäische Union in den Bereichen stärken, die besser gemeinsam europaweit geregelt werden können, wie etwa die Klimapolitik, Flüchtlingspolitik oder Fragen der Wirtschafts- und Währungspolitik. Das Staatsministerium Baden-Württemberg ist eine Schaltstelle bei der Koordinierung der Europapolitik der Landesregierung und der europapolitischen Aktivitäten der einzelnen Ministerien. Ein Schwerpunkt liegt darin, die Interessen des Landes in den Gesetzgebungsprozess auf EU-Ebene einzubringen. Das Land entwickelt beispielsweise Positionen zu grundsätzlichen EU-Themen wie den Folgen des Brexit, dem Mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR), der EU-Handelspolitik, der EU-Strukturpolitik oder der EU-Migrations- und Flüchtlingspolitik. Darüber hat das Land den Anspruch, die Zukunft der Europäischen Union aktiv mitzugestalten, etwa im Hinblick auf die institutionelle Weiterentwicklung der EU, die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten oder die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion.

Baden-Württemberg arbeitet darüber hinaus mit vielen europäischen Partnern zusammen. Es engagiert sich in mehreren regionalen Netzwerken. Das Land ist Mitglied der Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK), der Hochrheinkommission (HRK), der Oberrheinkonferenz (ORK) und in der Trinationalen Metropolregion Oberrhein (TMO).  Hier ist Baden-Württemberg aktiv, um gemeinsame Fragen zu lösen und die Vernetzung des Landes im Zuge gemeinsamer Projekte mit Frankreich, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein aktiv voranzubringen. Abgeordnete und Mandatsträger aus Baden-Württemberg und den Nachbarstaaten sind im Oberrheinrat und in der Internationalen Parlamentarischen Bodensee-Konferenz vertreten. Auch auf bilateraler Ebene findet ein enger Austausch statt.

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Chance oder Problem für Land und Landtag?

Die Einbettung des Landtags in das bundes- und europapolitische Mehrebenen-Regierungssystem birgt zwar die Chance, politische Entscheidungen auf höheren Regierungsebenen im Sinne des Landes zu beeinflussen. Doch vor allem stehen in der öffentlichen Diskussion zwei Problemkomplexe im Mittelpunkt. Zum einen erfordert das föderale System in der Bundesrepublik einen erhöhten Koordinationsbedarf nicht nur zwischen Bund und Land, sondern auch zwischen den Ländern.

Blockadesituationen können eintreten, in denen bestimmte sachpolitische oder institutionelle Änderungen unmöglich sind. Auch die Transparenz von Entscheidungsprozessen kann abnehmen und dazu führen, dass Wählerinnen und Wähler nicht mehr eindeutig nachvollziehen können, welche politische Ebene für bestimmte politische Entscheidungen verantwortlich zu machen ist.

Dass die Landespolitik nicht isoliert von anderen Regierungsebenen betrachtet werden sollte, zeigt sich auch deutlich am Beispiel der Landtagswahlen: Die bundespolitische Situation oder europapolitische Themen können hier unter Umständen eine wichtige Rolle spielen.

Zum anderen muss sich der Landtag in diesem komplexen Umfeld beweisen. Dies gelingt momentan nur bedingt. Häufig wird ein Bedeutungsverlust der Landesparlamente beklagt: Zu den Kompetenzverlusten, welche die Landesparlamente erlitten, trete die Exekutivlastigkeit der Entscheidungsverfahren hinzu. Bemängelt wird also, dass die Einflussmöglichkeiten auf höhere Regierungsebenen hauptsächlich bei den Landesregierungen angesiedelt seien und die Landesparlamente dadurch benachteiligt würden.
 

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Perspektiven

Will man, dass die Landesparlamente künftig eine wichtigere Rolle im politischen Entscheidungsprozess spielen, so gilt es nicht nur, das Subsidiaritätsprinzip ernst zu nehmen. Die Stimmen der Landesparlamente müssen auch ein entsprechendes Gewicht haben. Darin sind sich alle Landesparlamente einig. So haben die 16 Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente gemeinsam auf einer Konferenz in Stuttgart am 21. Juni 2010 die „Stuttgarter Erklärung“ verabschiedet.

Ziel der Erklärung ist es, die demokratische Willensbildung auf der europäischen und der bundesstaatlichen Ebene zu legitimieren und Einwirkungs- und Teilhabemöglichkeiten der deutschen Landesparlamente zu stärken. Die Erklärung fordert etwa die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in der Europapolitik (nicht nur im Hinblick auf die EU-Ebene, sondern auch in Bezug auf die Bundesebene), außerdem eine stärkere Einbeziehung der Landesparlamente als legitime Vertretungen ihrer Landesbevölkerung in den europäischen Integrationsprozess.

Auch gegenüber den Landesregierungen sollen die Landesparlamente gestärkt werden: Neben der Herstellung von Informationsgleichheit zwischen der Exekutive und der Legislative in den Ländern soll eine Bindung der Landesregierungen beim Abstimmungsverhalten im Bundesrat erwirkt werden.

Ob sich die Landesparlamente mit ihren Forderungen auf Dauer durchsetzen werden, ist freilich offen. Doch fest steht, dass die in der „Stuttgarter Erklärung“ vorgeschlagenen Änderungen bei den zentralen Problemen des Landesparlamentarismus ansetzen. Die Umsetzung der Erklärung würde die Entscheidungsgewalt in europapolitischen Angelegenheiten ein Stück weit zugunsten der direkt gewählten Volksvertretungen verschieben und das Landesparlament wieder attraktiver machen.

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Autor: Internetredaktion LpB BW | letzte Aktualisierung: April 2022

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